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Kraftwerk sind für die neunziger Jahre, was The
Velvet Underground für die achtziger waren: Referenzpunkt, Blaupause.
Schon der Name der Gruppe und ihre LP- und Songtitel signalisieren
Modernität: 'Computerliebe', 'Autobahn' und ganz besonders 'Techno
Pop'. Aber hat man sich auf dieses Spiel mit dem Überbau erst einmal
eingelassen, hat man schon verloren. Kraftwerk sind das genaue
Gegenteil von dem, was ihre computergestützte Modernität signalisieren
will. Neben Africa Bambaataa und Kevin Saunderson haben sie auch Guildo
Horn zu verantworten, geht eine gerade Linie von den schmusigen Elektronik-Anfängen
zum Münchener Union Move 1998, wo Schlagerplatten den größten Applaus
einbrachten. Das Geheimnis - im Guten wie im Schlechten - liegt in
der Naivität der Kraftwerk-Musikanten, die trotz des ganzen
Science-fiction-Klimbims, den sie zur Mythologisierung ihrer Musik
verwendeten, nicht in der Lage waren, einen klitzekleinen Blick in
die Zukunft zu werfen, sondern immer nur die eigene Gegenwart für
Ziel und Endpunkt der Entwicklung hielten. Besonders deutlich macht
das 'Computerwelt', auf der Computer mit verzerrten Telefonstimmen
knarzen, in den Texten zum Zeitvertreib die "Zukunft programmiert"
wird und jemand den Bildschirmtext aufruft: Oooops, wrong planet!
Illustriert wird dieses un-digitale Raunen durch einen rührenden Computer-Ausdruck,
der damals der Original-LP beilag: Da wurden von der Plattenfirma
EMI stolz die Gesichter der vier Musiker mittels Sonderzeichen auf
gestreiftes Endlospapier gedruckt, Computer-Chic im Aufbruch - kaum
zwanzig Jahre später fremd und archaisch wie der Gebrauch eines Faustkeils.
Dennoch lassen wir Kraftwerk auch in unserer nach Perfektion
strebenden Plattensammlung bleepen und fiepen und ziepen - aber nicht
als Signum der Moderne, sondern als unsere besondere Schlagerplatte,
die wir auflegen, wenn uns ein nicht ganz lieber Gast ständig von
lustigen Partys erzählt, auf denen 'Marmor, Stein und Eisen bricht'
läuft und VIVA-Moderator Stefan Raab als cool durchgeht. |
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KRAFTWERK
'Computerwelt' (1981)
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