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Manchmal heißt es in diesem Buch am Schluß einer Passage,
es handle sich um eine der fünf besten Platten der Popgeschichte:
Die quantitativ daherkommende Aussage ist natürlich blanker Subjetivismus
und meint letzlich nur, daß ich diese oder jene LP bei meiner Verbannung
auf die Teufelsinsel mitnehmen würde. Lou Reeds 'Street Hassle'
gehört ebenfalls dazu, eine Mischung aus Live- und Kunstkopfaufnahmen
im Studio, wobei schwer zu sagen ist, welche mit der größeren Beiläufigkeit
erledigt wurden. Im Hintergrund quengelt sich eine hart rockende Band
durch zwei, drei Akkorde und hört sich dabei an, als würde eine Single
auf LP-Geschwindigkeit abgespielt, darüber honkt gelegentlich ein
Saxophon. Vorne ist Lou. So cool, daß er kaum den Mund aufmacht, so
aufgeschwemmt und mit Drogen vollgepumpt, daß sein Gesang hechelnd
und daher übertrieben geil wirkt. Der Popstar am Scheideweg: Ertrinken
oder Schwimmen. Lou Reed entschloß sich bald nach 'Street Hassle'
zu schwimmen, zu heiraten, zum Klassiker zu werden, in den neunziger
Jahren sogar zum Gutmenschen, der keine Textzeilen mehr singt wie
"I wanna be black; I wanna be like Martin Luther King and get myself
shot in spring. I don't wanna be no fucked-up middle class student
no more". Aber zu 'Street Hassle'-Zeiten war ihm ein issue noch ein
Tissue, mit dem man sich den Hintern wischt: Downtown-Manhatten-Ennui
at its best. Aber es kommt noch besser und besser: das turborotzige
und honkytonkpianogetriebene 'Dirt', Long Island Swamp Rock, mit seinem
unnachahmlichen Decrescendo am Schluß und das elfminütige 'Street
Hassle', eine Punkrock-Suite über Liebe, Sex und 'Waltzing Matilda',
das Lied der Australier. Hat noch keiner besser gemacht. |
95
LOU REED
'Street Hassle' (1978)
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