|
Nun doch noch eine Velvet-Underground-Platte:
Eigentlich dachte ich, inzwischen ohne die Gruppe leben zu können,
die meinem Herzen neben Dylan am nächsten ist. Als ich begann, mir
Platten und Argumente für dieses Buch zurechtzulegen, wartete 'Loaded',
das vierte Album der Gruppe um Lou Reed, als edel aufgemachte "Fully
Loaded Edition'-Doppel-CD auf meinem Schreibtisch darauf, endlich
an die einzig passende Stelle im CD-Regal gestellt zu werden. Nur
ein Handgriff. Ich ließ die CD gegen alle Gewohnheit liegen, schob
die Hülle nicht in ihren Schuber, auch nicht das Beiheft. In den ganzen
zwölf Monaten, die ich an diesem Manuskript schrieb, war mir 'Loaded'
stets im Weg, meine Lieblingsplatte der Velvets, weil 'Sweet
Jane' das erste Stück war, das ich vor endloser Zeit von ihnen gehört
habe, im Radio: natürlich was my life saved by 'Rock & Roll'.
'Loaded', die Ungeliebte, die Platte,
die immer vergessen wird, wenn einer die LPs von Velvet Underground
aufzählt, war dann auch eine der ersten Platten, die ich mir kaufte.
Es dauerte Jahre, bis ich erfuhr, daß Ersatz-Cale Doug Yule die Hälfte
der Lieder singt und nicht Lou Reed, daß Maureen Tucker gar nicht
trommelte, weil sie schwanger war, weiß ich erst seit kurzem. Was
ich damals wußte, war, daß 'Sweet Jane' und 'Rock & Roll' zu der Kategorie
Songs gehören, die man in hundert Jahren nicht totspielen kann. Was
ich wußte, war, daß 'New Age' und 'Oh! Sweet Nuthin'' ziemlich genau
das sind, was ich unter perfekt verstehe, eine Mischung aus Rock,
Sentiment, Slogans und Pop-Art. Was ich weiß, ist, daß mein popkulturelles
Unterbewußtsein so lange auf stur geschaltet hat, bis ich 'Loaded'
wieder in den CD-Player legte und zu den Klängen der Burroughs-Hommage
'Lonesome Cowboy Bill' lostippte. Und "Es" hatte recht: Wieder eine
von diesen wunderbaren Platten von einer Band, die bereits ein Scherbenhaufen
war, wieder eine Platte, auf der Gruppenidentität nur noch als Fiktion
existiert, wieder einmal Musik, deren Aufgabe es zu sein scheint,
die gesamte Vergangenheit der Band zusammenzufassen, alles Manierierte
und Experimentelle abzustreifen, den populären Kern zu finden, das
'Rock'n'Roll Heart', das Potential, mit dessen Hilfe man ein neues
Jahrzehnt, ein neues Label, die Zukunft eben, bestehen kann: "What
comes is better than what came before". Musik, für die neunzig Prozent
aller Rockmusiker ihre Mutter lebendig einmauern würden. |
97
VELVET UNDERGROUND
'Loaded' (1970)
Weiter
>>
|