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Aus Lou Reed ist inzwischen jemand geworden, der eine
Live-Platte macht, um den besonderen Klang einer akustischen Gitarre
und eines Verstärkers einzufangen. Auch ein Motiv. Aber sein "Ostrich"-Stil,
seine Besessenheit mit sechs Saiten und einem Rhythmus, hat natürlich
genauso viele Youngsters motiviert, selbst Gitarrist zu werden und
eine Band zu gründen, wie Hendrix oder Richards oder Clapton. Sein
talentiertester "Schüler" ist vermutlich Tom Verlaine, der
seit 1972, als er die Neon Boys gründete, das missing link
gibt zwischen der Pop-Art-Welt der sechziger Jahre und Punk. Richard
Hell, Richard Lloyd, Robert Quine, Leute von den Ramones, Blondie
und MC5 gesellten sich im Lauf der Jahre zu Tom Verlaine und
Television, aber irgendwie blieb er das Groß-Talent, der gern
gesehene Session-Gitarrist, der Produzent, ein Musiker für Musiker,
aber keiner für die Massen. Sein Gitarrenspiel ist heute selbst Markenzeichen
und Muster für andere, schimmernde Klänge, sich langsam brechende
Kaskaden, "Ostrich" in slow motion, Klänge, die wie Luftspiegelungen
auf heißer Fahrbahn oder wie Scheinwerferlicht auf nasser, nächtlicher
Straße flirren und irrlichtern: kein Zufall, daß Verlaine so ein Photo
als Cover für seine Instrumentalplatte 'Warm and Cool' ausgewählt
hat. Die CD ging irgendwie unter, ich weiß auch nicht: Instrumentale
Rockmusik der neunziger muß wohl anders klingen, mehr nach Chicago
und nach Jazz und nicht so sehr nach Cowboystiefeln, die auf Großstadtstraßen
schiefgelatscht worden sind. So bleibt Tom Verlaine der Ry Cooder
seiner Generation, ohne aber dessen diplomatische Ader und völkerverbindende
Nichtraucherart zu besitzen, sondern mehr so ein One-Man-Soundtrack
für den Film unseres Lebens. |
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TOM VERLAINE
'Warm and Cool' (1992)
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