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Der Cartoonist Gary Larson hat ein paar Cowboys gezeichnet,
die nachts um ein Lagerfeuer sitzen. Im Hintergrund vielleicht ein
Kaktus, ein Pferd, eine Kuh. Die Cowboys blicken alle zum Sternenhimmel
auf und einer sagt sinngemäß: "Ich weiß auch nicht, was das ist: Jedesmal,
wenn wir mit dem Essen fertig sind, fängt dieser komische Chor zu
summen an...". Gary Larsons große Kunst besteht ja darin, den Witz
immer kurz vor oder nach der zu erwartenden Pointe zu erzählen. Der
Witz ist hier die Country-Musik; die Pointe besteht darin, daß in
den zwanziger Jahren eine immer noch junge Nation die erste, wohl
die erstbeste massenmedial vermittelte Identität schluckte: geheimnisvolle
Lone Rangers mit forschem Hut allesamt, maskierte Heroen mit Fransenjoppe,
vermummte Schurken mit stechendem Blick, dazu blutrünstige Indianer,
gut, weil tot, die aus Hörspielen galoppierten und in den Lichtspielhäusern
skalpierten, alles unterlegt mit fingiertem Cowboyliedgut auf Schellack:
Das sind wir. The Birth of a Nation. Und im Hintergrund summt der
Chor.
Unsere ideale Plattensammlung enthält
ja bereits ein paar Exponate, die Country bereits erahnen lassen,
die Harry-Smith-Anthologie oder den Bergarbeiter-Blues von Dock Boggs.
Aber um zum nationalen Phänomen, zum Medium der Identitätsstiftung
werden zu können, brauchte die auf massenmediale Verbreitung angewiesene
Countrymusik etwas Neues, dem 20. Jahrhundert Eigenes, das eben nichts
mit Folk - dem Kollektivwissen - zu tun hatte, sondern mit Glanz und
Schein und Pop in seiner vorbewußten Form: Countrymusik brauchte Stars.
Und ihre ersten Stars waren die Carter Family und Jimmie Rodgers,
der "singende Bremser", der mit seinen "Blue Yodels" afroamerikanischem
Blues und angloamerikanischen Balladen verbandelte und etwas Neues,
eben Amerikanisches daraus machte; Sara, Maybelle und A.P. Carter
wurden bei den gleichen Sessions entdeckt wie Rodgers - A.P. steht
übrigens für Alvin Pleasant Delaney Carter, ein Name, mit dem man
zum Popstar prädestiniert ist, der aber in seinem Fall auch für Geschäftstüchtigkeit
stand: Alvin meldete für jedes von den Carters eingespielte und noch
ungeschützte Liedchen die Autorenrechte an, auch wenn es Jahrhunderte
alt war.
Die Carters, unsere Schnittstelle zwischen
Folk und Country, verkauften bereits Ende der zwanziger Jahre zwischen
50.000 und 100.000 Stück pro Schellack-Platte und überstanden sogar
die Depression als professionelle Musiker, auch wenn sie sich zeitweilig
nach Mexiko hinüberretten mußten, um von dort aus via weitreichender
Piratenradiostationen in die USA hineinzusenden. Die Carters waren
tief verwurzelt im musikalischen Crossover zwischen afroamerikanischen
und weißen Musiktraditionen. Sie hatten 'Motherless Children' im Repertoire,
eigentlich das Markenzeichen des bärbeißigen Gospelsängers Blind Willie
Johnson, und sie jodelten wie Jimmie Rodgers, wenn es gefragt war
oder walzten im Dreiviertel-Takt. Die größten Verdienste um die Popmusik
hat allerdings das Gitarrenspiel von Maybelle Carter, die sich 1929
eine dicke, fette Gibson-Gitarre für damals horrende 275 $ kaufte
und auf den Baß-Saiten volltönend die Melodie pickte - ein Stil, den
seit Maybelle und ihrem schwarzen Vorbild Leslie Riddle fast alle
Folkies, Singer/Songwriter und Straßenmusikanten beibehalten haben.
Der erste Gitarrenheld der Popmusik: eine Frau. Voilà.
Als wäre das nicht schon Grund genug,
Aufnahme zu finden in dieses Buch, sind die Songs der Carters von
einer anrührenden Schlichtheit, die dank dieser schnörkellosen, nie
manierierten Vortragsweise auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach
ihrem Entstehen jene Innigkeit ausstrahlen, die der Carter Family
damals zu Starruhm verholfen haben mag. Oder man kann von Carter-CDs
das Singen und Spielen lernen - warum nicht. Die Carter-Edition
auf Rounder Records macht die CDs mit dieser frühen Countrymusik leicht
erhältlich; am besten gefällt mir die Musik aus der Zeit um 1930,
zu hören auf 'When the Roses Bloom in Dixieland - The Complete
Victor Recordings 1929 - 1930', darum gehört sie als erste Country-Platte
ins imaginäre Regal unserer Tip-Top-Patent-Plattensammlung. |
Genrecheck:
Country
& Western
41
THE CARTER FAMILY
'When the Roses Bloom in Dixieland' (1995)
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