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"There's a tear in my beer" Teil 1 : 2 : 3 : 4
Abteilung 11, in der ein halbes Jahrhundert, Pferde, Lastwagen, Cowboys, Stripperinnen und Piratenradios Platz finden müssen  
  Der Cartoonist Gary Larson hat ein paar Cowboys gezeichnet, die nachts um ein Lagerfeuer sitzen. Im Hintergrund vielleicht ein Kaktus, ein Pferd, eine Kuh. Die Cowboys blicken alle zum Sternenhimmel auf und einer sagt sinngemäß: "Ich weiß auch nicht, was das ist: Jedesmal, wenn wir mit dem Essen fertig sind, fängt dieser komische Chor zu summen an...". Gary Larsons große Kunst besteht ja darin, den Witz immer kurz vor oder nach der zu erwartenden Pointe zu erzählen. Der Witz ist hier die Country-Musik; die Pointe besteht darin, daß in den zwanziger Jahren eine immer noch junge Nation die erste, wohl die erstbeste massenmedial vermittelte Identität schluckte: geheimnisvolle Lone Rangers mit forschem Hut allesamt, maskierte Heroen mit Fransenjoppe, vermummte Schurken mit stechendem Blick, dazu blutrünstige Indianer, gut, weil tot, die aus Hörspielen galoppierten und in den Lichtspielhäusern skalpierten, alles unterlegt mit fingiertem Cowboyliedgut auf Schellack: Das sind wir. The Birth of a Nation. Und im Hintergrund summt der Chor.
     Unsere ideale Plattensammlung enthält ja bereits ein paar Exponate, die Country bereits erahnen lassen, die Harry-Smith-Anthologie oder den Bergarbeiter-Blues von Dock Boggs. Aber um zum nationalen Phänomen, zum Medium der Identitätsstiftung werden zu können, brauchte die auf massenmediale Verbreitung angewiesene Countrymusik etwas Neues, dem 20. Jahrhundert Eigenes, das eben nichts mit Folk - dem Kollektivwissen - zu tun hatte, sondern mit Glanz und Schein und Pop in seiner vorbewußten Form: Countrymusik brauchte Stars. Und ihre ersten Stars waren die Carter Family und Jimmie Rodgers, der "singende Bremser", der mit seinen "Blue Yodels" afroamerikanischem Blues und angloamerikanischen Balladen verbandelte und etwas Neues, eben Amerikanisches daraus machte; Sara, Maybelle und A.P. Carter wurden bei den gleichen Sessions entdeckt wie Rodgers - A.P. steht übrigens für Alvin Pleasant Delaney Carter, ein Name, mit dem man zum Popstar prädestiniert ist, der aber in seinem Fall auch für Geschäftstüchtigkeit stand: Alvin meldete für jedes von den Carters eingespielte und noch ungeschützte Liedchen die Autorenrechte an, auch wenn es Jahrhunderte alt war.
     Die Carters, unsere Schnittstelle zwischen Folk und Country, verkauften bereits Ende der zwanziger Jahre zwischen 50.000 und 100.000 Stück pro Schellack-Platte und überstanden sogar die Depression als professionelle Musiker, auch wenn sie sich zeitweilig nach Mexiko hinüberretten mußten, um von dort aus via weitreichender Piratenradiostationen in die USA hineinzusenden. Die Carters waren tief verwurzelt im musikalischen Crossover zwischen afroamerikanischen und weißen Musiktraditionen. Sie hatten 'Motherless Children' im Repertoire, eigentlich das Markenzeichen des bärbeißigen Gospelsängers Blind Willie Johnson, und sie jodelten wie Jimmie Rodgers, wenn es gefragt war oder walzten im Dreiviertel-Takt. Die größten Verdienste um die Popmusik hat allerdings das Gitarrenspiel von Maybelle Carter, die sich 1929 eine dicke, fette Gibson-Gitarre für damals horrende 275 $ kaufte und auf den Baß-Saiten volltönend die Melodie pickte - ein Stil, den seit Maybelle und ihrem schwarzen Vorbild Leslie Riddle fast alle Folkies, Singer/Songwriter und Straßenmusikanten beibehalten haben. Der erste Gitarrenheld der Popmusik: eine Frau. Voilà.
     Als wäre das nicht schon Grund genug, Aufnahme zu finden in dieses Buch, sind die Songs der Carters von einer anrührenden Schlichtheit, die dank dieser schnörkellosen, nie manierierten Vortragsweise auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrem Entstehen jene Innigkeit ausstrahlen, die der Carter Family damals zu Starruhm verholfen haben mag. Oder man kann von Carter-CDs das Singen und Spielen lernen - warum nicht. Die Carter-Edition auf Rounder Records macht die CDs mit dieser frühen Countrymusik leicht erhältlich; am besten gefällt mir die Musik aus der Zeit um 1930, zu hören auf 'When the Roses Bloom in Dixieland - The Complete Victor Recordings 1929 - 1930', darum gehört sie als erste Country-Platte ins imaginäre Regal unserer Tip-Top-Patent-Plattensammlung.

Genrecheck:
Country & Western

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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THE CARTER FAMILY
'When the Roses Bloom in Dixieland' (1995)

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