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Abteilung 11 (Fortsetzung) Teil 1 : 2 : 3 : 4
  Es gibt Bücher, die einen extremen Einfluß ausüben auf jedermann und jedefrau, ohne daß man diese Bücher gelesen haben muß: Der 'Mann ohne Eigenschaften' gehört dazu, der 'Zauberberg' und 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit'. Die Handlung dieser Bücher kann als bekannt, die Essenz als auf osmotische Weise überliefertes Erbe unserer Zivilisation angesehen werden, eingeatmet, ausgeatmet mit jedem neuen Tag.
     In der Popmusik zählen die LPs von Elvis Presley oder den Beatles zu diesen "in der Luft liegenden" Gemein-heiten und fehlen in diesem Buch, weil die anderen Einträge ständig auf sie vor- oder zurückverweisen. Also lassen wir den Elvis ohne Schlagzeug (gut) und den Elvis mit Schlagzeug (irgendwie nicht gut) Country, Rockabilly und Rhythm'n'Blues verquicken, lassen wir Amerika von den Beatles überrannt werden und neu erstehen im Sound der Surfer und Country-Rocker, auf die ich in der nächsten Abteilung noch kommen werde. Zwanzig Jahre nach dem Tod von Hank Williams wurde in den USA langsam ein neuer Typus Country Musiker aktiv, der sein Haar bis zum Arsch trug, Joints nicht für eine Todsünde hielt und ein entjungfertes Mädchen nicht gleich für eine Hure. Nashville war ihm ein Greuel; Bluegrass Musik fand er geil, weil irgendwie folkig und authentisch und wild und nicht so leicht vereinnahmbar vom Establishment, also lernte dieser Kerl und übte und fand angetörnte Freunde, und gewann die Herzen manch alter Haudegen, denen die Grand-Ole-Opry-Kacke auch zum Hals heraushing, und alles wurde bekiffter und schneller und schneller und bekiffter - was für ein Gegensatz - und auch technisch versierter und elektrisch verstärkter und schließlich zu Newgrass oder auch zu Outlaw Music oder dann doch zu Country-Rock: Jedenfalls, die neuen Jungs waren da, von Jimmy Buffett, Waylon Jennings, Dough Sahm, Guy Clark, über Commander Cody & His Lost Planet Airmen bis zu den Whizz-Kids wie Bela Fleck. Darüber thronen die neuen Megastars: Dwight Yoakam als der reinkarnierte Hank Williams, Garth Brooks als die Barbie-&-Ken-Version von Country Musik, dazu die ganzen Neo-Country-Diseusen von Emmylou Harris bis Nicolette Larson.
     Country strahlt seit den siebziger Jahren selbst in so entlegene Musik-Galaxien wie Funk oder Jazz aus; Performance-Künstler wie Ned Sublette setzen den Stetson auf, und Ulk-Punks wie Ween ziehen gen Nashville, um den korrekten Sound zu bekommen, während sich Johnny Cash unter Anleitung eines Hardrock- und HipHop-Produzenten ein spartanisches, ja fast Beckett'sches Alterswerk abringen kann - Postmoderne auch in der Country-Musik, verwirrend, unübersichtlich.
     Wem das Tempo dieses Countrydurchmarsches zu hoch war, für den sei die Zeit nochmals zurückgedreht ins Jahr 1973, als Post noch etwas mit Briefmarken und Moderne mit Raketen zu tun hatte: Alt seien sie und im Weg, Old & in the Way, kokettierten damals ein jüdischer Picker, ein Folkie aus North Carolina, ein ständig ausgespacter Hippie mit freundschaftlichen Banden zu den Hells Angels und eine aufgeschlossene Bluegrass-Eminenz. Sie würden sich noch wundern, wie alt sie alle werden sollten. Oder wie jung sie dann doch sterben würden. Aber 1973 war man jenseits der Dreißig schon ein Midlife-Greis, und als solcher durfte man Old-timey Music spielen: Also pickten und balzten und sangen sich David Grisman, Peter Rowan, Jerry Garcia und Vassar Clemens auf eine bekiffte Weise engagiert durch ein nur aus heutiger Sicht altertümliches Repertoire - schließlich hatte man damals aktuelle Songs von den Rolling Stones oder von Peter Rowans Alben der Bluegrass-Behandlung unterzogen - und selbst heute kann man sich der antiautoritären und demokratischen Umgangsart von 'Old & in the Way' nicht entziehen. Verglichen mit den zeitgleichen, etwas zu "witzig" geratenen Unternehmungen John Hartfords oder den salbungsvollen Weihespielen der Nitty Gritty Dirt Band sind die gelegentlichen Treffen dieser freundschaftlich verbundenen und doch in verschiedenen Welten beheimateten Musiker ein Genuß, der über das Genre Country Musik hinausweist. Eine ausgestreckte Hand. Freunde. Die ideale Musik, falls jemand zu Besuch kommt, den man jahrelang nicht mehr gesehen hat.

Genrecheck:
Bluegrass

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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JERRY GARCIA / OLD & IN THE WAY
'Old & in the Way' (1974)

 

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