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Mit 'Now I Got Rhythm' und, mehr noch, mit 'Accelerator'
kann man Schwiegerväter den Schaum in die Mundwinkel zaubern, Nachbarn
in die Bezirksnervenheilanstalt treiben und das Ende einer WG einläuten.
Aber es mag ja auch Tage und Stunden geben, in denen man der Menschheit
wohlgesonnener ist, Tage des Friedens, Stunden des Glücks, Zeiten,
in denen der alte Menschenfreund hochkommt und man sich selbst für
altersmilde hält - oder für krank. Solche Stunden mögen es gewesen
sein, als sich Ben Vaughn, Alex Chilton und Alan
Vega trafen, um in einem abgedunkelten Studio-Kabuff in Manhattan
ihre jeweilige individuelle Spielart des Blues zu einem neuen, zu
einem Neunziger-Jahre-kompatiblen Format zusammenzuschustern. Chilton
haben wir oben schon als Gefährten Tav Falcos kennengelernt, doch
Ruhm und Ehre gebührt ihm auch als ehemaligem Mitglied der Box
Tops, als Gründer der legendenumwobenen Combo Big Star
und als grandiosem Sänger und Gitarristen auf ach so vielen Solo-Platten.
Ben Vaughn ist praktizierender Rock'n'Roll-Archivar
mit außerzeitlich schönen Platten auf seinem Pop-Konto - "schön" in
dem Sinne, wie Gänseblümchen schön sein können oder ein verbeulter
Kotflügel.
Und Alan Vega ist das Monster, die Rockabilly-Stimme
über dem nervenzerfetzenden Elektroniklärm seines sonnenbebrillten
Alter egos Martin Rev, gemeinsam Suicide, gemeinsam notorische
Verlierer, gemeinsam ein ganzes Buch voller Legenden, voller Geschichten
der Aggression und der Mißverständnisse. Dieses Trio also traf sich,
machte Musik, ging wieder auseinander. Ein eher zufällig wirkendes
Rencontre auf einer imaginären Crossroad. Ein mythischer Moment. Entstanden
ist dabei die völlig unterschätzte, weil von den Medien praktisch
nicht wahrgenommene CD 'Cubist Blues' die, einer anderen Generation
verpflichtet als etwa Jon Spencer's Blues Explosion, ohne die
Bürde gegenwärtiger Hipness die Tragfähigkeit der Herangehensweise
Blues einem Neunziger-Jahre-Test unterzog. Alan Vegas raunzende Echobilly-Stimme
wird wie eine schwere Zugmaschine auf die Gitarrengleise seiner Mitstreiter
gehievt; alles fängt irgendwo an, hört irgendwo auf, lose Enden überall.
Doch unterwegs dürfen wir tiefe Momente
menschlicher Verzweiflung teilen, Inbrunst, mühsam als rudimentäre
Religiosität kaschierte Angst, vor dem Nächsten, vor der Liebe, der
Droge, dem Alkohol, den neuen Jungs mit ihren Computern und abstrakten
Rhythmen, vor der Impotenz: All das wird mitgeschleift von diesem
Güterzug voller ewiger Boogie-Kultfiguren. Und Kult heißt in unserem
Fall eben nicht, was es heute heißt: daß nämlich alle ein Geheimnis
teilen, das in der Stadtzeitung steht. Sondern Kult heißt hier: Herzschmerzende
Verehrung, arkanes Wissen, Geheimbündelei. So wie Vaughn und Vega
und Chilton ihren Göttern Opfer darbringen, so neigen wir uns vor
diesem großen Geschenk an uns Menschenkinder. |
Genrecheck:
Rock'n'Roll
32
BEN VAUGHN / ALEX CHILTON / ALAN VEGA
'Cubist Blues' (1996)
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