Musikmeldungen aktuellMusikstromKolumnenSoundcheckPopalphabetGastbeiträgeWeblinksKontaktinfo  
  Home
 
Abteilungen
Abteilung 8 (Fortsetzung) Teil 1 : 2 : 3 : 4
  Mit 'Now I Got Rhythm' und, mehr noch, mit 'Accelerator' kann man Schwiegerväter den Schaum in die Mundwinkel zaubern, Nachbarn in die Bezirksnervenheilanstalt treiben und das Ende einer WG einläuten. Aber es mag ja auch Tage und Stunden geben, in denen man der Menschheit wohlgesonnener ist, Tage des Friedens, Stunden des Glücks, Zeiten, in denen der alte Menschenfreund hochkommt und man sich selbst für altersmilde hält - oder für krank. Solche Stunden mögen es gewesen sein, als sich Ben Vaughn, Alex Chilton und Alan Vega trafen, um in einem abgedunkelten Studio-Kabuff in Manhattan ihre jeweilige individuelle Spielart des Blues zu einem neuen, zu einem Neunziger-Jahre-kompatiblen Format zusammenzuschustern. Chilton haben wir oben schon als Gefährten Tav Falcos kennengelernt, doch Ruhm und Ehre gebührt ihm auch als ehemaligem Mitglied der Box Tops, als Gründer der legendenumwobenen Combo Big Star und als grandiosem Sänger und Gitarristen auf ach so vielen Solo-Platten.
     Ben Vaughn ist praktizierender Rock'n'Roll-Archivar mit außerzeitlich schönen Platten auf seinem Pop-Konto - "schön" in dem Sinne, wie Gänseblümchen schön sein können oder ein verbeulter Kotflügel.
     Und Alan Vega ist das Monster, die Rockabilly-Stimme über dem nervenzerfetzenden Elektroniklärm seines sonnenbebrillten Alter egos Martin Rev, gemeinsam Suicide, gemeinsam notorische Verlierer, gemeinsam ein ganzes Buch voller Legenden, voller Geschichten der Aggression und der Mißverständnisse. Dieses Trio also traf sich, machte Musik, ging wieder auseinander. Ein eher zufällig wirkendes Rencontre auf einer imaginären Crossroad. Ein mythischer Moment. Entstanden ist dabei die völlig unterschätzte, weil von den Medien praktisch nicht wahrgenommene CD 'Cubist Blues' die, einer anderen Generation verpflichtet als etwa Jon Spencer's Blues Explosion, ohne die Bürde gegenwärtiger Hipness die Tragfähigkeit der Herangehensweise Blues einem Neunziger-Jahre-Test unterzog. Alan Vegas raunzende Echobilly-Stimme wird wie eine schwere Zugmaschine auf die Gitarrengleise seiner Mitstreiter gehievt; alles fängt irgendwo an, hört irgendwo auf, lose Enden überall.
     Doch unterwegs dürfen wir tiefe Momente menschlicher Verzweiflung teilen, Inbrunst, mühsam als rudimentäre Religiosität kaschierte Angst, vor dem Nächsten, vor der Liebe, der Droge, dem Alkohol, den neuen Jungs mit ihren Computern und abstrakten Rhythmen, vor der Impotenz: All das wird mitgeschleift von diesem Güterzug voller ewiger Boogie-Kultfiguren. Und Kult heißt in unserem Fall eben nicht, was es heute heißt: daß nämlich alle ein Geheimnis teilen, das in der Stadtzeitung steht. Sondern Kult heißt hier: Herzschmerzende Verehrung, arkanes Wissen, Geheimbündelei. So wie Vaughn und Vega und Chilton ihren Göttern Opfer darbringen, so neigen wir uns vor diesem großen Geschenk an uns Menschenkinder.

Genrecheck:
Rock'n'Roll

 

 

 

 

 

 

32
BEN VAUGHN / ALEX CHILTON / ALAN VEGA
'Cubist Blues' (1996)

 

 

 

 

 

 

Weiter >>

 

Musikmeldungen aktuell | Musikstrom | Kolumnen | Soundcheck | Popalphabet | Gastbeiträge | Weblinks | Kontakt