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Eine vergleichbare Erschütterung hat nur noch Townes
van Zandt bei mir ausgelöst. Wenn es Musik gibt, die einen zum
Weinen bringen kann, dann ist sie vermutlich auf einer von van Zandts
Platten zu finden, die fast immer auf kleinen Labels erschienen, die
postwendend Pleite machten. Seine Folk-Outlaw-Country-Freunde dagegen
wurden berühmt und landeten Hits mit seinen Liedern, was ihm half,
Spielschulden, Schnaps und die Miete zu bezahlen; er selbst wurde
nur geliebt. Eine Weile habe ich Gott und die Welt mit Townes-van-Zandt-Tapes
versorgt, als die CDs noch nicht so leicht zu haben waren und sein
Name nur eine verschüttete Erinnerung. So vermehrte sich durch ein
Schneeballsystem Gleichgesinnter die Zahl der Menschen, deren Leben
durch seine Lieder schöner und trauriger geworden ist, und als es
ans Sterben ging - wie bei Hank Williams in einer Neujahrsnacht -
konnte Townes van Zandt die Welt in einem besseren Zustand verlassen,
als er sie vorgefunden hat. Kurz nach seinem Tod erschien 'Highwaykind'
(1997), ein erschütterndes Abbild seiner letzten Lebensjahre, die
aber nur jenen etwas geben kann, die nicht nur den zittrigen, zerfurchten
Krüppel gekannt haben, sondern auch den witzigen, ernsten, verwirrten
jungen Mann, der seine Entwurzelung trug wie ein Kreuz. Die erste
CD von Townes van Zandt sollte vielleicht besser 'Our Mother the
Mountain' sein, eröffnet von 'Be Here to Love Me', einem seiner
netten Patent-Songs zwischen Country und Folk, nach deren Muster er
eine Weile und ohne erkennbare Mühe Lieder raustat, für die andere
ihre linke Hand gegeben hätten. Mit den Jahren fiel es ihm selbst
plötzlich schwer, den Zaubertrick zu wiederholen, und bei Songs wie
'The Hole' oder 'Marie', die kurz vor seinem Ende nochmals den eigenen
Standard erreichten, hatte man in den Konzerten stets den Eindruck,
als würde van Zandt sie wie ganz besonders kostbare Geschenke verteilen.
Jedenfalls lockt einen 'Be Here...'
harmlos an, doch dann folgt das streicherumspielte 'Kathleen', das
ohne Warnung eine der van Zandt'schen Gletscherspalten aufreißt, in
deren eisigen Tiefen Tageslicht und Wärme und Geborgenheit nur noch
wie ferne Erinnerungen erscheinen. 'Our Mother the Mountain' kulminiert
schließlich in 'Tecumseh', einem absichtlich streng nach den Regeln
der Folk-Scholastik gestrickten Song, der wie kein zweiter in van
Zandts Repertoire zeigt, daß es the singer ist, auf den es ankommt
und not the song: Die lakonische Trauer, das tiefe Mitempfinden hindert
den Sänger nicht, die Dinge beim Namen zu nennen, die dazu führten,
daß jenes Mädchen, das man als Caroline kannte, den Tod findet: Arbeitslosigkeit,
Krankheit, Billigjobs, Hurerei. Pflichterfüllung und Liebe. Unser
Pfarrer rief, als ich noch ein Schulkind war, allsonntäglich von der
Kanzel: "Lesen Sie Solschenizyn!", bis wenigstens ich neugierig und
ein wenig genervt nachgab und mir 'Die Krebsstation' besorgte. In
dieser Tradition zelotischer Aufgeregtheit rufe ich auch Ihnen zu:
"Hören Sie Townes van Zandt!" |
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TOWNES VAN ZANDT
'Our Mother the Mountain' (1969)
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