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Abteilung 16 (Fortsetzung) Teil 1 : 2 : 3 : 4 : 5
  Eine vergleichbare Erschütterung hat nur noch Townes van Zandt bei mir ausgelöst. Wenn es Musik gibt, die einen zum Weinen bringen kann, dann ist sie vermutlich auf einer von van Zandts Platten zu finden, die fast immer auf kleinen Labels erschienen, die postwendend Pleite machten. Seine Folk-Outlaw-Country-Freunde dagegen wurden berühmt und landeten Hits mit seinen Liedern, was ihm half, Spielschulden, Schnaps und die Miete zu bezahlen; er selbst wurde nur geliebt. Eine Weile habe ich Gott und die Welt mit Townes-van-Zandt-Tapes versorgt, als die CDs noch nicht so leicht zu haben waren und sein Name nur eine verschüttete Erinnerung. So vermehrte sich durch ein Schneeballsystem Gleichgesinnter die Zahl der Menschen, deren Leben durch seine Lieder schöner und trauriger geworden ist, und als es ans Sterben ging - wie bei Hank Williams in einer Neujahrsnacht - konnte Townes van Zandt die Welt in einem besseren Zustand verlassen, als er sie vorgefunden hat. Kurz nach seinem Tod erschien 'Highwaykind' (1997), ein erschütterndes Abbild seiner letzten Lebensjahre, die aber nur jenen etwas geben kann, die nicht nur den zittrigen, zerfurchten Krüppel gekannt haben, sondern auch den witzigen, ernsten, verwirrten jungen Mann, der seine Entwurzelung trug wie ein Kreuz. Die erste CD von Townes van Zandt sollte vielleicht besser 'Our Mother the Mountain' sein, eröffnet von 'Be Here to Love Me', einem seiner netten Patent-Songs zwischen Country und Folk, nach deren Muster er eine Weile und ohne erkennbare Mühe Lieder raustat, für die andere ihre linke Hand gegeben hätten. Mit den Jahren fiel es ihm selbst plötzlich schwer, den Zaubertrick zu wiederholen, und bei Songs wie 'The Hole' oder 'Marie', die kurz vor seinem Ende nochmals den eigenen Standard erreichten, hatte man in den Konzerten stets den Eindruck, als würde van Zandt sie wie ganz besonders kostbare Geschenke verteilen.
     Jedenfalls lockt einen 'Be Here...' harmlos an, doch dann folgt das streicherumspielte 'Kathleen', das ohne Warnung eine der van Zandt'schen Gletscherspalten aufreißt, in deren eisigen Tiefen Tageslicht und Wärme und Geborgenheit nur noch wie ferne Erinnerungen erscheinen. 'Our Mother the Mountain' kulminiert schließlich in 'Tecumseh', einem absichtlich streng nach den Regeln der Folk-Scholastik gestrickten Song, der wie kein zweiter in van Zandts Repertoire zeigt, daß es the singer ist, auf den es ankommt und not the song: Die lakonische Trauer, das tiefe Mitempfinden hindert den Sänger nicht, die Dinge beim Namen zu nennen, die dazu führten, daß jenes Mädchen, das man als Caroline kannte, den Tod findet: Arbeitslosigkeit, Krankheit, Billigjobs, Hurerei. Pflichterfüllung und Liebe. Unser Pfarrer rief, als ich noch ein Schulkind war, allsonntäglich von der Kanzel: "Lesen Sie Solschenizyn!", bis wenigstens ich neugierig und ein wenig genervt nachgab und mir 'Die Krebsstation' besorgte. In dieser Tradition zelotischer Aufgeregtheit rufe ich auch Ihnen zu: "Hören Sie Townes van Zandt!"

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TOWNES VAN ZANDT
'Our Mother the Mountain' (1969)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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