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Der dritte Tenor, ein Bariton for sure, trägt schwarz
und kennt die Tiefen, in denen Townes van Zandt irgendwie verloren
gegangen ist, kennt aber auch die Höhen, kommerziell und künstlerisch,
die das Leben mit einer Gitarre und tausend Geschichten für einen
bereithalten kann. Nun, am Ende der Karriere, als alles nach Selbstparodie
und Krankheit und Langeweile aussah, kam ein Luzifer oder Gabriel
namens Rick Rubin und holte Johnny Cash, den Man in Black aus
seiner Sackgasse zwischen Oldie-Show und Hall of Fame. Rubin, Produzent
von HipHop und schwerem Schweinerock, nahm den knollennasigen Alt-Outlaw
bei der Hand, führte ihn auf den Gipfel eines Berges und zeigte ihm
alle Reichtümer dieser Welt: "All dies kann dir gehören, wenn du vor
mir auf die Knie fällst und mich anbetest." Johnny Cash meinte, diese
Story bereits zu kennen, machte ein leichte Verbeugung und sagte:
"Was nun?" Und Rubin, zufrieden mit der Geste des Grandseigneurs,
holte ein kleines Tonband aus seinem weiten Mantel und ließ Johnny
Cash unbegleitete, finstere Männerlieder singen, die Stimme brüchig,
aber voller Würde, die Mundwinkel heruntergezogen: der Bad Lieutenant
der Contrymusik. Tote Frauen säumen die Straßen, Jesus flackert als
Erlöser durch die Todesphantasien, und man merkt schließlich: Der
Man in Black ist mit seinem seltsamen Leben im Reinen und nimmt nun
zum Schluß dieses ganzen Spektakels auch noch gern die Rolle des Untoten
ein, in einen Staubmantel gehüllt, flankiert von zwei fiesen Hunden,
die Verwüstung hinter, das Grauen vor sich. Dabei ist diese Pose so
echt wie die in Schönschrift auf lose Schulheftblätter gekritzelten
Kindheitserinnerungen, die Cash uns durch Rubin in diesen 'American
Recordings' überbringen läßt, so echt wie die Kugeln in John Waynes
Colt und so voller Leben wie die Christusstatue in Madonnas Video.
Nichts wird freudiger angenommen als eine aus vollem Herzen geschenkte
Illusion. |
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JOHNNY CASH
'American Recordings' (1994)
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