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Dreimal habe ich Motörhead getroffen, zweimal
habe ich sie interviewen wollen, aber jedesmal blieb das Band leer,
weil die Band schon voll war. Was auch sollten drei Krawallbrüder
zu sagen haben, die der Meinung waren, gerade die beste Zeit ihres
Lebens zu haben, auf Kosten der Plattenfirma eine endlose Party zu
feiern und ab und zu die 120-db-Schwelle zu durchstoßen? Ich schaute
ihnen zu, wie sie inmitten von Pressefritzen und Labeltussis ihr Bier
tranken, wie sie keine Ahnung davon haben wollten, daß all die Hochglanzbroschüren,
Dia-Shows, Häppchen und Schlückchen von niemand anderem als ihnen
selbst bezahlt werden würde. Ich war dabei, als sie im Schwabinger
Bräu so laut spielten, daß ich tagelang nur noch ein Pfeifen hörte:
Zwei Gigs später brachten Motörhead in Belgien eine Hallenwand
durch puren Schalldruck zum Einsturz. Ich habe ihre gigantische Flugzeugattrappe
auf der 'Bomber'-Tour gesehen und die Zahnlücken in Lemmys Mund und
die Haare, die aus seiner Nase wachsen. Ich habe mir ihre Platten
noch gekauft, als sie längst nicht mehr auf Platz 1 der Charts standen
und ihre Plattenfirma sie hatte fallenlassen. Sie waren vielleicht
die erste und die lustigste Metalband der Welt; sie sind es vielleicht
immer noch, gemein, dumm, stumpf, betrunken und laut ohne Ende. Der
Motörhead-Rhythmus war der Rhythmus der Betonmischmaschinen
und der Schaufelbagger. Ihre Melodien hatten die Schönheit von verrosteten
Autowracks, und die Texte meinten sicher nicht die klassenlose Gesellschaft,
wenn von 'No Class' die Rede war, sondern die Stillosigkeit irgend
einer Braut, nachzuhören mit anderen, extrem bescheuerten Goodies
auf 'Overkill', das außerdem eines meiner Alltime-Lieblingslieder
enthält, die bluesige Nummer 'I'll Be Your Sister' - eine grausige
Drohung, wenn sie aus Lemmys Mund kommt.
Motörhead waren das missing link
zwischen Progrock und Punk und Metal und sie hatten Lemmy Kilmister,
der sein Patentgegröhle nach Belieben aus der Nietenweste schütteln
konnte. Und dann irgendwann nicht mehr. Aber das gehört nicht in dieses
Buch. |
Genrecheck:
Heavy
Metal
56
MOTÖRHEAD
'Overkill' (1979)
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