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Während Billie Holiday für das gesamte Amerika strahlte,
sang und starb, elektrifizierte sich der Blues. T-Bone Walker wurde
zum Inbegriff des Gentleman-Blues-Gitarristen, jetzt auch urban, jetzt
auch in den Metropolen des Nordens, jetzt Stadtmaus, no more Landmaus.
B.B. King und Muddy Waters folgten, erfolgreich, Konsens-Künstler,
sicherlich großartig auf ihre Art und Weise, aber, ganz offen gesagt:
Ich kann's nicht mehr hören! In meine ideale Plattensammlung kommt
mir kein Ton Chicago-Blues, zu korrumpiert sind die Sounds, die Töne;
die Epigonen haben selbst die Originale zu Tode geschändet. Eine ebenso
eigenwillige wie repräsentative Sammlung bezieht ihren Wert auch aus
den Lücken, die sie hörenden Ohres einfordert.
Statt dessen schreibe ich diese persönliche
Bluesgeschichte fort mit jenem Bastard zwischen Blues und Jazz, der
in der nächsten Generation Mama Country-Musik schwängern wird, um
den Rock'n'Roll zu zeugen: Rhythm'n'Blues. Lionel Hampton kreuzte
hin- und her zwischen farbenblinder Stimmungsmusik, Jazz und ungebändigter
Hysterie, andere begnadete Irre von Slim Gaillard bis Johnny Otis
heizten die Show an, bis manch einer nicht mehr wußte, ob er Männlein
oder Weiblein, Latino, Grieche oder Schwarzer war. Aus diesem Tohuwabohu
der Stile holten sich Jazzer wie Charles Mingus knallharte Shouter,
Honker und Tröter, die das dort erlernte Know-how postwendend wieder
in trashige Alltagsmusik überführten, ob sie nun gerade R&B, Soul
oder Funk hieß.
Der Musterkoffer gewinnt deutlich, auch
an Gewicht, durch: 'Atlantic Rhythm and Blues 1947 - 1974',
sieben Doppel-LPs voll unverzichtbarer Musik, gespielt und gesungen
von der Aristokratie der schwarzhäutigen Jugendverderber, von Big
Joe Turner bis Aretha Franklin, auch wenn oft genug ein türkischstämmiger
Mogul wie Ahmed Ertegun oder zwei jüdische Vollzeitneger wie Jerry
Leiber und Mike Stoller dahintersteckten, wenn uns die vielen Clovers,
Searchers, Coasters den Shimmy als teenagerkompatiblen Shimmy-She-Wobble
unterzuwobbeln versuchten.
Die Gitarren wurden gottseidank nicht
nur im Chicago eines Bo Diddley immer lauter, sondern auch in Memphis,
Kansas City oder St. Louis heulten mächtige Wölfe: Howlin' Wolf kann
einen allein durch seine Stimme und den Kantschädel einschüchtern,
Ike Turner beeindruckt mehr als slicker Vorläufer der heutigen
Gangsta-Rapper. Jahre nach seinen schwarzrockenden Glanztaten, als
er im Schatten der kreischenden Tina weiße Hippies vollsülzen durfte,
wollte ihn das Management von Bill Grahams Fillmore in San Francisco
am Verlassen des Hauses durch den Bühnenausgang hindern, weil draußen
auf der Straße Krawalle ausgebrochen waren. Ike Turner zog seine Pistole,
machte, gefolgt von Tina und den Ikettes, die Türe auf, feuerte
ein paar Schüsse in die Luft und stieg in seine weiße Limousine. So
überheblich, rotzfrech und megacool war Ike Turners Musik schon, als
er unter fünfzig verschiedenen Namen für 55 verschiedene Plattenfirmen
gleichzeitig aufnahm, immer auf der Suche nach dem allmächtigen Hit,
der ihn an die Spitze welcher Hitparade auch immer katapultieren würde.
Ein Halbgott der Popmusik, dessen Platten von 'The Legendary Ike
Turner and the Kings of Rhythm - Hey Hey' bis zu den psychopathischen
Synthesizer-Schlock-Funk-Nummern der späten Tina-Zeit jedwede Plattensammlung
zieren. |
Genrecheck:
Rhythm'n'Blues
10
VARIOUS ARTISTS
'Atlantic Rhythm and Blues 1947-1974' (1985)
Genrecheck:
Schwarzer
Rock'n'Roll
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IKE TURNER
'The Legendary Ike Turner and the Kings of Rhythm - Hey Hey' (1984)
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