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Um 1970 ist der Blues trotz John Lee Hooker und trotz
Jimmy Hendrix die Musik der weißen Kinder. Johnny Winter kann als
"weißer Neger" vermarktet werden; mit Janis Joplin hat gerade eine
texanische Alkoholikerin den Blues-Olymp vollgereihert. Van Morrison
klöppelt aus John-Lee-Hooker-Manierismen, Popstar-Allüren und angemieteten
Jazz-Muckern seinen ausgespacten New-Age-Blues zusammen. Rock in all
seinen Spielformen baut auf den Blues auf; wir treffen seine Vergröberer;
wir hören ihn verfeinert und vergöttert. Und wir begegnen den Totengräbern
des Blues. Wir machen Platz für sie in unserer besten aller Schallplattenwelten,
Platz für Ry Cooder, Captain Beefheart und Mayo Thompson.
Ry Cooder trägt der Popkenner
heutzutage wie Calvin-Klein-Unterhosen: paßt, sitzt und steht ein
guter Name drauf. Aber so wie Calvin Klein sein hervorragendes Unterhosen-Repertoire
zugunsten von geschwätzigem Parfum und unerträglichen Sweat-Shirts
vernachlässigt, so riskiert es auch Ry Cooder, aus einem wahrhaft
guten Namen einen angeblich guten Namen werden zu lassen. Der gebürtige
Kalifornier ätzte seine Initialen schon in Teenagerjahren in herausragende
Aufnahmen mit Captain Beefheart oder Paul Revere & the Raiders,
verbesserte en passant "Let it Bleed" von den Rolling Stones,
um schließlich mit technisch versierten, aber milde traditionalistischen
Bluesalben eine Solokarriere zu starten. Mitte der siebziger Jahre
hatte Cooder dann seine Zauberformel gefunden: Eingebettet in die
reiche, schwarzamerikanische und karibische Musiktradition hauchte
er Blues und Gospel hawaiianischen und mexikanischen Sauerstoff ein,
der zu einer neuen, minzfrischen Art von Mundgeruch führte. Cooder-Exegeten
streiten sich von Lexikon zu Nachschlagewerk über die wirklich empfehlenswerten
Platten des Maestros; wir winken ab und ordern 'Paradise & Lunch',
auf der sich Gassenhauer, Gospel und guter Groove ganz gemütlich auf
dem Sofa fläzen. Der Raucher mag zu 'I'm a Fool for a Cigarette' schunkeln,
Ehemänner mögen weise nicken, wenn von einer Scheidung auf mexikanisch
die Rede ist oder wenn Ry Cooder konstatiert, daß 'Married Man's a
Fool' sei. Und der Pastor von nebenan schwärmt gerne vom direkten
Draht zum HErrn: 'Jesus is on the Mainline' - bei dieser Platte fühlt
sich jeder wohl. Womit wir allerdings auch beim Cooder'schen Kernproblem
wären: die Nähe von gutem Geschmack zu Geschmäcklerischem, von solidem
Handwerk und Oberlehrertum, von polyglottem Eklektizismus und Weltmusikgedaddel.
Ry Cooder gehört zu den Totengräbern des Blues as we knew it, weil
er die kruden Seiten dieser Musik zu Gunsten von Geläufigkeit und
Gefälligkeit vernachlässigt. Bleib bei deinen Unterhosen, möchte man
ihm ein für allemal zurufen, wang dang doodle! |
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RY COODER
'Paradise & Lunch' (1974)
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