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Ganz anders Mayo Thompson: Er haßte den Blues
seit Kindertagen, haßte seine weißen Erstsemester-Propheten und das
ganze Getue um Authentizität und den edlen schwarzen Mann. Gott, das
Zeug mußte doch tot zu kriegen sein! Ein erster Anlauf dazu war seine
texanische Un-Musik-Band Red Krayola (mal mit K, gern auch
mit C), die Mitte der sechziger Jahre einen Guerillakrieg gegen musikalische
Sentimentalität führte. Später wirkte er als Guru und Gitarrist bei
Pere Ubu und als Produzent beim wegweisenden Rough-Trade-Label
in London. Derzeit erschreckt er wieder Kunststudenten mit der x-ten
Red Crayola-Version. Aber während eines Vakuums, zwischen Red
Krayola und einer Zeit als Assistent des Pop-Artisten Robert Rauschenberg,
nahm Mayo Thompson seine Blues-Platte auf: dialektisch, praktisch,
gut. Der Form und den Inhalten ergeben, aber sie dehnend und auswalzend
wie vor ihm und nach ihm keiner mehr: Wenn der Blues Dorian Gray sein
sollte, dann ist Thompsons 'Corky's Debt to His Father' Mr.
Hyde. Mit dieser Platte kann man Menschen vertreiben, Freunde fürs
Leben gewinnen oder marxistische Diskussionszirkel gründen. Eine unberechenbare
Wunderwaffe.
Ähnliches gilt für Captain Beefhearts
1970 entstandenes Grundlagenwerk 'Trout Mask Replica'. Der Münchner
Autor und Musiker Carl-Ludwig Reichert ließ einst wie nebenbei den
Satz fallen: "Nur wer sich alle vier Seiten von 'Trout Mask Replica'
am Stück anhören mag, kann mein Freund sein." So apodiktisch macht
'Trout Mask Replica' selbst die Sanftmütigen. Die Musik, in zwölfmonatiger
Klausur unter Schutz und Schirm von Frank Zappa gewachsen und dann
doch blitzartig an ein, zwei Tagen aufgenommen, wirkt übermenschlich,
entrückt, ist der Urmeter der Gitarrenmusik. An dieser Platte zu messen
heißt: aufhören, Musik zu machen. Nein, wir stellen uns keine ultimative
Frustrationswaffe ins Regal; wir greifen lieber zu 'Clear Spot'
von Captain Beefheart and His Magic Band. Hier versucht der
Captain alias Don van Vliet, seine Grundlagenforschung wieder in kommerzielle
Nutzanwendungen zu überführen, den "Blues für das neue Jahrtausend",
der ihm von Journalisten zugetraut wurde, mit den Pop-Bedürfnissen
des Alltags zu vereinen. Jedes der zwölf Lieder beginnt mit einer
klanglichen oder rhythmischen Sensation, ähnlich einem elaborierten
"ersten Satz" eines Romans, und führt in die einerseits formal vertraute,
im Sound und in den Texten aber bizarre Welt der Magic Band
- eine perfekte Platte, avanciert, aber von menschlichem Maß, aufgenommen
vor einem zwar unterschätzten, aber doch eher unglücklichen Abstecher
des Captains in die kommerzielle Gefälligkeit, vor seiner Rückkehr
als Erzengel des Blues, der um 1980 alles aus dem Garten Eden der
Popmusik vertrieb, was eine Gitarre halten konnte. Vor seiner Karriere
als bildender Künstler. Vor dem Ausbruch seiner Multiplen Sklerose.
Eine der fünf besten Platten der Popgeschichte, was man schon an Songtiteln
wie 'Her Eyes Are a Blue Million Miles' oder 'My Head is my Only House
Unless it Rains' ermessen kann. |
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MAYO THOMPSON
'Corky's Debt to His Father' (1970)
25
CAPTAIN BEEFHEART
'Clear Spot' (1972)
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