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Ich bin gern Schweizer. Nirgends dazugehören und das
schon seit ewig und drei Tagen, nicht zur NATO, nicht zur EU, nicht
zum Warschauer Pakt, falls den noch jemand kennt. Gerade mal, daß
man auf dem europäischen Kontinent festsitzt und sich selber nicht
mag, weil man gleichzeitig deutscher Oberspießer, französischer Möchtegern-Lebemann,
bedrohte Minderheit und ein fauler Italiener ist. Schweizer heißt
bei mir allerdings nicht, daß ich dort geboren wäre, no way, sondern
ist auf die Musik bezogen. Nie einer Szene angehört haben. Nie einem
Stil angehangen wie der Moon Sekte. Nie mit Mohawk oder Skin-Glatze
oder Stüssy-Kapperl oder Plateau-Schuhen herumgelaufen. Nie alles
wissen wollen und nie alles gewußt haben. Sondern so mehr ins Blaue
reinschießen und schauen, wie die Nicht-Schweizer dann hüpfen und
springen: touché. Nie alle Mitglieder von Grateful Dead auswendig
aufsagen können, nie jedes Wochenende nach London geflogen, um zwei
Tage lang die Secondhand-Läden nach superneuen Singles durchzuforsten,
die die Kollegen vom Melody Maker da angeblich kistenweise hinschleppen,
nie und nimmer jeden Freitag, Samstag, Sonntag im Ultraschall abgewartet,
bis man nach Hause gehen darf. Immer freundlich gegrüßt, interessiert
zugehört, geschrieben, geliebt, gesendet - aber immer nur für mich,
nie für die Gemeinde, der man zeigen muß, was für ein fescher Kaplan
man sein kann. Darum kann ich jetzt auch Techno hören oder Speed Garage,
obwohl mir da dieses Gesinge eher nicht gefällt, oder Drum'n'Bass
zwei Jahre zu spät entdecken oder House einfach nicht mögen, ohne
mir blöd vorzukommen, in meinem Alter, als Nicht-Althippie, als Nicht-Punk,
als Nicht-Hedonist, als Nicht-Rasta, als Schweizer. Ich kann mir einfach
und eher zufällig eine Dreifach-LP von Luke Slater mit nach
Hause nehmen und feststellen, daß die wohl das Tollste ist, was mir
bei meinen Stippvisiten im Lande Techno bisher untergekommen ist:
Wo so viel Schönes ist, da wollen wir Schweizer natürlich auch hin.
Wie dieser Slater mit der Tür gleich ins Haus fällt und sofort das
Zeichen gibt, daß man besser zwei Schritt zurücktreten sollte, damit
einen die Splitter nicht zerfetzen, danke. Der macht mit den Rhythmen,
was er will und schert sich einen Dreck ums Reinheitsgebot, 'Freek
Funk' soll das sein, aha. Also die Musik ganz, ganz laut gestellt
und dann ins Zimmer nebenan - da klingt es gleich noch toller, dieses
Scheppern, dieses überdrehte Ballern, dieses entfesselte Ding, das
wohl Techno ist, weil Slater unter werweißwievielen Decknamen da schon
dieses und jenes und auch ganz anderes abgesondert haben soll. Und
als Schweizer darf ich mich einfach hinsetzen und mich wundern, wie
die Klänge da rein kommen, wo Luke Slater sie rauskommen läßt. Und
wie läßt er sie rauskommen? Welche Eleganz begleitet sein Tun? Bei
Jimi Hendrix ist es offensichtlich: Die Schönheit seines Gitarrenspiels
harmoniert mit der Schönheit seiner Bewegungen. Und auch bei Elvis
sieht man diese Kongruenz, wenn man es schafft, Elvis immer wieder
neu zu sehen und nicht nur als Rock'n'Roll-Wackelarsch oder Fettsack
oder Legende. Aber bei Luke Slater? Es reicht, daß man sich wundert.
Ich muß mich nicht mit Wissen volldröhnen, mich mit der Verfeinerung
der Verfeinerung beschäftigen, das ganze leidige Klassizismus-Ding
nachvollziehen, um diese LP in einer perfekten Plattensammlung, in
einem tragbaren Museum der Popmusik sehen zu wollen. Ich muß nur die
Löcher in den Käse staunen - die vornehmste Aufgabe eines jeden Schweizers. |
Genrecheck:
House
66
LUKE SLATER
'Free Funk' (1997)
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