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Wieso heißt ausgerechnet jene Musik Weltmusik, die auf
der ganzen Welt immer nur ein paar Heinzen interessiert? Dabei gibt
es auf diesem Planeten genau zwei Weltmusiken, nämlich Pop - und Klassik,
dieses untote Gedaddel aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Indische Sitar-Artisten,
bekiffte Trommler aus dem marokkanischen Bergland oder Virtuosen auf
der japanischen Koto-Zither machen entweder eine zu komplexe oder
eine zu regionalspezifische Musik, um außerhalb des eigenen, meist
eng definierten Kulturkontexts von uns Kulturimperialisten überhaupt
wahrgenommen werden zu müssen: Selig die Spezialisten; alle anderen
hören Michael Jackson, weil der eine planetarische Cola-Sprache spricht,
die so klar und wahr funktioniert wie Pampers oder ein Transistorradio,
d.h. durch ihre axiomatische Richtigkeit sofort und ohne Gebrauchsanweisung
oder ideologische Verrenkung in das alltägliche Leben selbst des letzten
Südseeinsulaners zu integrieren ist. Von ganz besonders debiler Häßlichkeit
sind dagegen Versuche, Popmusik mit indigenen Formen der Musik zu
kreuzen: Das beginnt bei den Zillertaler Schürzenjägern und
hört bei indonesischer Dangdut-Musik auf, in der fundamentalistische
Texte zu Hardrock-Gedöns die jungen Muslimen-Prolos auf die anderen
Ethnien des Landes hetzen.
Die einzige weltweit relevante Regionalvariante
von Popmusik war in den siebziger und achtziger Jahren Reggae, dessen
ganja-umwölkte Karibik-Slowness gleichermaßen Boney M an die
'Rivers of Babylon' trieb wie The Slits zu tribalistischen
Echokammer-Feminismus für den Underground befähigte, während Eric
Clapton ewig und drei Tage lang den Sheriff erschoß. Im Vergleich
zu den stolzen Dreadlocks galten Britanniens indische und bengalische
Zuwanderer als komplette Pop-Versager, als Weicheier, die sich von
Skinheads verhauen ließen und den ganzen Sonntagnachmittag in ellenlangen
indischen Schnulzenfilmen hockten. Stimmt zwar nicht ganz: Bereits
Ende der achtziger Jahre entwickelte sich eine wilde bengalische Crossover-Diskotheken-Kultur,
deren Bhangra-Sound mildes "weltmusikalisches" Interesse bei Besuchern
von Sanyassin-Diskotheken herrief; sie blieb aber auf die gerüchteweise
ziemlich ekstatische Londoner Bengali-Szene beschränkt.
Erst die Tanzwut der ausgehenden neunziger
Jahre und die entspannte, freundliche E-thmosphäre Londons förderten
eine selbstbewußtere Bengali-Musik zu Tage, die sich mal fundamental-oppositionell
geriert wie bei Asian Dub Foundation, lockere Sommerhits ausspuckt
wie Cornershop oder eben die äußerste Krone der Trendwellen
reitet wie Talvin Singhs Anokha-Abende in den angesagtesten Clubs
der Stadt, vor denen wir Touristen stundenlang warten müssen, in der
Plastiktüte 'Anokha - Soundz of the Asian Underground'. Dort
hören wir ambiente Klänge und Drum'n'Bass, Melodielinien, die an indische
Historienschinken erinnern, Samples von Flughafendurchsagen und Handy-Gepiepse,
dazu digital und manuell getunte Tabla-Sounds, curry-flavoured rhythms,
oder wie Talvin Singh es nennt: "Asiatischer Soul des 21. Jahrhunderts,
soll heißen: die Stimme eines 14jährigen Mädchens im Radio, die eine
R & B-Nummer auf Hindi singt und dabei asiatisch intoniert und deren
Haltung asiatisch ist; britisch-asiatischer Underground auf dem Weg
an die Oberfläche."
Wenn wir den Club wieder verlassen und
wieder zu Hause sind mit unserer 'Anokha'-Compilation, wird sich erst
einmal Ernüchterung einstellen. Gerade bei dieser Musik macht es einen
essentiellen Unterschied, ob einem die Bässe mit mehreren tausend
Watt in jede Körperhöhlung gepreßt werden und die dichtgedrängten
Körper einen mitnehmen, weiterwälzen, hin- und herreiben zwischen
westlichem Pop und östlichem Soundhybrid - oder ob man bei Zimmerlautstärke
den Abwasch macht. Die an- und abschwellenden Patterns, die klöppelnden
Handtrommeln, die sich verschluckenden Sounds müssen erst noch ihren
Platz finden im hiesigen Leben, sind hier noch viel fremder als in
Großbritannien. Aber warum höre ich sie dann andauernd, im Auto, beim
Aufräumen, beim Zeitunglesen? Vielleicht ist es wie mit dem Geruch
eines Gewürzsträußchens, das man widerwillig als Geschenk angenommen
hat? Oder es verhält sich wie mit Rauch aus der Pfeife eines Gastes
- der süßliche Duft hängt sich ein, wird schließlich nur noch wahrgenommen,
wenn er fehlt. Also soll die 'Anokha'-Compilation der ungeklärte Fall
in unserer Sammlung sein, das Versprechen eines Landes, in dem die
Völker und Rassen langsam aber sicher entspannt zusammenleben können
- während bei uns Parteien immer noch damit werben können, sie seien
"inländerfreundlich". |
Genrecheck:
Reggae
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VARIOUS ARTISTS
'Anokha - Soundz of the Asian Underground' (1997)
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