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Wenn der morbide Charme Leonard Cohen zum Doc Holiday
der einsamen Sänger macht, dann ist Roberta Joan Anderson alias Joni
Mitchell seine Calamity Jane. Auch sie erlag den Lockungen des
ewigen kalifornischen Sommers und ließ den trüben kanadischen Himmel
hinter sich, um gleichermaßen zur Zimtzicke wie zur Grande Dame der
amerikanischen Singer/Songwriter aufzusteigen. Dieser Aufstieg führte
durch manches Bett, doch bald schon teilten braungebrannte Jünglinge
Jonis Lager, um ihrerseits aufzusteigen und die höheren Weihen zu
erhalten, die den Einlaß gewährten in die Hippie-Aristokratie, deren
Camelot am Laurel Canyon stand. Gerne erweckte Joni Mitchell in Interviews
den Eindruck, andere Musiker und Musikerinnen seien es kaum wert,
den Saum ihres Kleides zu küssen. Hört man jene zwei Platten, die
aus ihrem fast zwanzig LPs umfassenden Oeuvre herausragen, so sind
selbst notorisch Ungläubige anschließend gerne bereit, ihr zuzustimmen.
Da ist zuerst einmal 'Blue',
verwirrt, intim, "bringing out the best in me". Völlig überspannt,
viel zu hoch, unsingbar komisch tanzt Joni Mitchells Stimme die Skalen
und Tonleitern hinauf und hinunter, erzählt von Liebhabern, Schlitzohren
und Ex-Ehemännern, von kalten kanadischen Wintern, die als Erinnerung
in Gesprächen an heißen, kretischen Sommerabenden auftauchen, erzählt
von der verloren geglaubten Tochter, erzählt von Hippieträumen, die
vom Heroin zerfetzt werden: "only a phase, these dark cafe days."
Rotkäppchen singt im Wald, doch der überlange Schatten des bösen Wolfs
taucht die Szenerie bereits in kränkelnde Nachtfarben. Spartanischer
noch arrangiert als Leonard Cohens Songs brennen sich die Lieder auf
'Blue' in die Seele des Hörers, legen Zeugnis ab von jenem Moment
kurz vor dem Verlust der Unschuld. Wenn es noch weh tut. Wenn die
Lüge noch nicht zur Gewohnheit geworden ist. "Oh, it gets so
lonely..."
Ein paar Jahre später treffen wir auf
'Hejira' eine Joni Mitchell, die ausgebrannt scheint, gehetzt.
Seit 'Blue' hat sie versucht, das Singer/Songwriter-Genre zu transzendieren,
es durch eine Hinwendung zum Jazz zu adeln, also Cola in Chardonnay
zu verwandeln. Am Ende ihrer Bemühungen ist sie zurückgeworfen auf
den Beginn allen Volksliedes, die Straße. Quer durch Amerika führt
ihr Trip, von New Orleans, wo sie der Blues-Knacker Furry Lewis abblitzen
läßt ('Furry Sings the Blues'), nach North Dakota, vom Golf von Mexiko
in die Wüste, wo sich Joni in die Seele des Flieger-Popstars Amelia
Earhart hineinträumt. Perfekt ist auf 'Hejira' die Transsubstantiation
gelungen: Jonis Stimme fließt wie klares Wasser über die jazzigen
Kaskaden, die Jaco Pastorius' Baß setzt und verwandelt private Pein
in Glück für alle. Rare Momente, in denen Jazz und Pop zusammengehören,
in denen Joni sich den Melodien überlassen kann, die eigenen Manierismen
vergißt und: singt! Wie schön, wie perfekt.
Davor, danach mühte sich Joni Mitchell
durch manch Goldene und manch unbeachtete Platte, aber allein mit
der überspannt-intimen 'Blue' und der überreichen 'Hejira' im Regal
kann man Zeiten größter Verwirrung und nagender Selbstzweifel bestens
bestehen. Jemand hat den Job schon erledigt. |
Genrecheck:
Singer/Songwriter
2
JONI MITCHELL
'Blue' (1971)
3
JONI MITCHELL
'Hejira' (1976)
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