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Der Messias des erneuerten Blues kam allerdings nicht
aus Memphis und nicht aus Louisiana. Sein Sumpf, das brackige Wasser,
aus dem dieser düstere Engel mit vollen Händen schöpfte, um die Teenager
dieser Welt zu taufen, liegt noch weiter südlich, liegt in Australien.
Diese schlangenverseuchte, ausgedörrte, überflutete Weltengegend wird
zum Referenzpunkt für die sadomasochistisch aufgeladenen Bluesphantasien
Nick Caves, die erstmals auf der EP 'Mutiny' (1983) aus ihrem
Rock'n'Roll-Kokon brachen und im Lauf der Jahre und unter Mithilfe
des manieristischen Eiteltropfs Blixa Bargeld zu einer Art Designer-Dekadenz
mutierten, die den Gensatz eines Robert Johnson mit der Lässigkeit
Frank Sinatras vereint, um daraus Rosemaries Baby zu klonen.
Aus der völlig richtigen Einsicht heraus,
daß die Welt einen neuen Elvis brauche, kleidet sich Cave in jene
Stoffe, die die dunkle Seite des Kings verbargen, in inzestuöse Baumwolle,
voyeuristischen Satin, in Ed Geins Menschenhaut, schließlich in das
Fell des verlorenen Schafes, nach dem der HErr so verzweifelt suchte.
Diese Vermählung von Blues, nihilistischem Formenspiel und barbarischer
Religiosität erreichte seine größte Intensität auf 'Your Funeral,
My Trial', als Nick Cave überzeugend den Wiedergänger auf dem
Kreuzweg gab, Schächer und Erlösender in einem, die Finger noch blutig
und auch der Mund, in der einen Hand die Dornenkrone, in der anderen
ein Fleischermesser. Bis heute begeht der bleiche Leidensmann stellvertretend
für uns seine finsteren Handlungen, um ebenso stellvertretend die
Schuld auf sich zu nehmen oder die Untat ins Reich der religiösen
Notwendigkeit, des Wahns also, zu entrücken. Dazu nölt die Hammond-Orgel,
faucht und knistert die Gitarre - ein arianischer Gottesdienst in
dunklem Psycho-Tann: Nick Cave führt die existentialistischen Nöte
der frühen Bluesmusiker heim in den sakralen Raum und reicht uns als
Lösung die Pistole, als wären wir Offiziere der K&K-Monarchie. Dazu
ermöglicht er, über die Jahrzehnte hinweg, die Vereinigung von Zwanziger-Jahre-Berlin
nebst Kurt Weill oder Claire Waldorf mit den abgelegenen, animistischen
Tanzvergnügungen der amerikanischen Sklavenkinder, versöhnt so Europa
mit Afroamerika - das kann wohl nur ein Australier. |
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NICK CAVE / THE BAD SEEDS
'Your Funeral, My Trial' (1986)
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